Die Schule im Jahre 1948

In der Schule unterrichtete, in Vertretung der Vertretung, die Lehrerin Frl.  Schirmer aus Gilserberg. Die für den, seit über 30 Jahren hier amtierenden Lehrer, W. Stumme eingewiesene Vertretung. Fam. Mrazek aus Mähren, muss sich selbst für Monate vertreten lassen. Frau Mrazek schenkt einem Söhnchen das Leben.

Da Herr W. Stumme um seine Wiedereinstellung in den Schuldienst noch bemüht ist und Lischeid nicht mehr betreuen will, entsendet der Herr Regierungspräsident den ehemaligen Rektor Max Stein, aus Nieder Ullersdorf, Kreis Lorau n/l an die hiesige Schule.

Der Lehrer

Ich trete am 01.01.1948 meinen Dienst hier an. Im April 1945 aus der Heimat verwiesen, zieht unser Treck der Radfahrer während der letzten Wochen des Zusammenbruches durch die Lausitz, durch Sachsen und durch Thüringen nach Hessen. Unsere Unterkunft teilen wir zeitweise mit den aus den Konzentrationslagern befreiten Internierten, befinden uns tagelang in den brodelnden Massen der ausländischen Fremdarbeiter, die im Freudentaumel, über ihre zurückgewonnene Freiheit sinnlose Dinge anstellen. Dann wieder bewegt sich der Treck zwischen amerikanischen Truppenverbänden der III. Armee. Die Russen besetzen noch zusätzlich Sachsen und Thüringen. Wir ziehen nach dem Westen. Niemals werden wir belästigt, wir befehlen uns der allertreuesten Pflege. In Binsförth finde ich als Oragnist und als Fährmann, auf der Fulda, Beschäftigung.

Die Klasse

Die Halbtagsschule zeigt folgendes Bild:
8. Jahrgang 6 Kinder Die oberen 4 Jahrgänge = 30 Kinder
7. Jahrgang 14 Kinder
6. Jahrgang 4 Kinder
5. Jahrgang 6 Kinder
4. Jahrgang 14 Kinder Grundschule = 59 Kinder
3. Jahrgang 8 Kinder
2. Jahrgang 11 Kinder
1. Jahrgang 26 Kinder
    89 Kinder  

 

Die Grundschule ist fast doppelt so stark wie die oberen 4 Jahrgänge.
 
Im Januar 1948 nach den Weihnachtsferien ziehe ich nach Lischeid und übernehme die Schule. Ende Februar übersiedelt meine Familie von Binsförth. Wir teilen den Wohnraum des Schulhauses mit der Familie Mrazek. Herr Stumme hat im Dorf Unterkunft genommen. Es ist tragisch, wie schnell und leicht man vergisst, was ein Lehrer in 30 Jahren der Treue zu einer Gemeinde aufgebaut hat. Aber es ist eine Zeit, in der ein Hausvater nicht mehr in seiner eigenen Familie zu bestimmen hat.

Die Lischeider bereiten uns einen herzlichen Empfang. Die Jahrgänge der Schule erscheinen einzeln unter der umkränzten Schulpforte und überreichen kleine Aufmerksamkeiten. Herr Bürgermeister Heinrich Schütz ist bemüht um ein gutes Verhältnis zwischen Schule – Elternhaus und Gemeinde.

Die Arbeit in der Schule verlangt eine ganze Lehrerpersönlichkeit: „Eine Schule ohne Zucht, ist eine Mühle ohne Wasser.“ (Comerines) Ich bin seit 1913 im Schuldienst, hier erwartet mich die schwerste Arbeit. Es gibt leider einige Kinder, die verwechseln die Arbeitsstätte ihres kindlichen Geistes mit einem Zirkus. Sie wollen mich in die Rolle eines Dompteurs drängen. „Girschi“ wechselt in einer Stunde dreimal seine Bank und grinst mich von seinem neuen Platz herausfordernd an. Das Erziehen und Besinnen zur reinen Menschlichkeit steht an 1. Stelle. Es gibt viele kleine Zuhörer, die von der feinen Lyrik eines Nikolaus Lenau (3 Zigeuner) angesprochen werden.

Lischeid

Die Jahrhunderte prägten für unser Dorf eigenen Namen: Leytensceith, Littenscet, Lechtensceth, Lysscheiit, Lichscheidt. Es sind einmalige Worte, die in Ihrem germanischen Klang und in Ihrer ureigenen Schreibweise dem Nibelungeliede entnommen sein könnten. Alle diese Namen wollen wohl eine gewisse Freude zum Ausdruck bringen: Nach dem Roden des Urwaldes erhält nun das Licht der Sonne freien Eingang. – Die Endsilben –sceith, -scet, scheiit, scheidt bezeichnen jede Art von Grenzen. Ja hier scheiden sich Licht, Wetter, Wasser und sogar die Trachten, selbst eine politische Grenzlinie lief durch unsere Dorflage, hier Lehngau, drüben Hessen. Unsere Wasser fließen zum Rhein: Über der Hohen Warte närdlich beginnt das Stromgebiet der Weser.
Oft taut der Vorfrühling die letzten Schneereste hier weg, während im nahen Winterscheid die Wasserträger wegen der Straßenglätte sich nur vorsichtig fortbewegen können. Unter den Dörfern des Gilserberger Hochlandes ist Lischeid die südlichste Siedlung. Hier wird der Frühlingssieg des Lichtes wohl zuerst gespürt. Ihn verkünden die zarten Blüten des Seidelbastes und die Goldblume Huflattich, gerade sie legt bei uns recht früh den schützenden Knospenmantel ab.

Als Lischeid noch in der Gemarkung Kleinrode (Klein Rodde) lag, umgab jeden Hof das Gärtchen mit den Wiesen und Feldern. Davon zeugt noch der Bauernhof Mattheis, der in seiner Ursprünglichkeit selbst mit dem Namen erhalten geblieben ist.

Ostern 1948 (83 Kinder)

Es werden Ostern 1948 drei Mädchen und 3 Jungen konfirmiert und aus der Schule entlassen. Da neue Schulanfänger nicht aufgenommen werden sollen, beträgt die Schülerzahl 83. Es fällt auf, dass die rein evangelische Gemeinde nur katholische Flüchtlinge zugewiesen erhielt. Die 23 kath. Kinder erhalten zweimal in der Woche von dem kath. Pfarrer aus Gilserberg und noch von einer kath. Lehrkraft (Frl. Schirmer) Religionsunterricht, jedes Mal einen vollen Nachmittag.

Bücher und Lehrmittel

Auffallend ist, dass sich in dem großen Schulschrank so wenig Bücher befinden. Das Bildergestell enthält nur einige gute Bilder, die meisten sind zerrissen. Weitere Lehrmittel sind nicht vorhanden. Es fehlen völlig ein Inventarverzeichnis, ein Verzeichnis über Lehrmittel, Karten, Bilder, Bücher etc.. Herr Stumme und Frau Mrazek erzählen nur, dass die Schule 1945 und 46 als Herberge benutzt worden sei. Kleine Mädchen habe man im Garten überrascht, wie sie die schönen Anschauungsbilder zerrissen. Es gibt keinen Schlüssel zum Klassenraum.

Singabende

Auffallend ist, dass sich in dem großen Schulschrank so wenig Bücher befinden. Das Bildergestell enthält nur einige gute Bilder, die meisten sind zerrissen. Weitere Lehrmittel sind nicht vorhanden. Es fehlen völlig ein Inventarverzeichnis, ein Verzeichnis über Lehrmittel, Karten, Bilder, Bücher etc.. Herr Stumme und Frau Mrazek erzählen nur, dass die Schule 1945 und 46 als Herberge benutzt worden sei. Kleine Mädchen habe man im Garten überrascht, wie sie die schönen Anschauungsbilder zerrissen. Es gibt keinen Schlüssel zum Klassenraum.